„In der Endlichkeit, der sich das hegelsche Unendliche entgegensetzt, um sie in sich aufzunehmen, erkennen wir die Endlichkeit des Menschen vor den Elementen, die Endlichkeit des Menschen, der vom Es gibt erfaßt ist, jeden Augenblick durchdrungen von Göttern ohne Antlitz, gegen die er die Arbeit aufbietet, um die Sicherheit zu gewinnen, in der das ‚Andere‘ der Elemente sich als das Selbe erweist. Das Andere aber, das absolut anders ist – der Andere – begrenzt nicht die Freiheit des Selben. Indem der Andere die Freiheit zur Verantwortung ruft, setzt er sie ein und rechtfertigt sie. Das Verhältnis zum Anderen als Antlitz heilt von der Allergie. Es ist Begehren, empfangene Unterweisung und friedlicher Gegensatz der Rede. Wenn wir auf den cartesischen Gedanken des Unendlichen zurückkommen – auf die ‚Idee des Unendlichen‘, die dem getrennten Seienden durch das Unendliche eingelegt ist -, so halten wir daran die Positivität fest, den Umstand, daß das Unendliche allem endlichen Denken und jedem Gedanken des Endlichen vorausgeht, daß es Exteriorität im Verhältnis zum Endlichen ist. Darin lag die Möglichkeit zum getrennten Seienden. Die Idee des Unendlichen, das Überflossenwerden des endlichen Denkens mit dem, was über sein Begreifen hinausgeht, mit dem, was dem Denken in jedem Augenblick beigebracht wird, ohne es doch zu verletzen. Dies ist die Situation, die wir Empfang des Antlitzes nennen. Die Idee des Unendlichen ereignet sich im Gegensatz der Rede, in der Sozialität. Indes, die Beziehung mit dem Antlitz, mit dem absolut anderen Anderen, das ich nicht zu enthalten vermag, mit dem Anderen, das in diesem Sinne unendlich ist, ist meine Idee, ein commercium. Aber | die Beziehung erhält sich ohne Gewalt – sie hält sich im Frieden mit dieser absoluten Andersheit. Der ‚Widerstand‘ des Anderen tut mir keine Gewalt an, wirkt nicht negativ; er hat eine positive Struktur: eine ethische. Die erste Offenbarung des Anderen, die in allen weiteren Beziehungen mit ihm vorausgesetzt ist, besteht nicht darin, daß ich ihn in seinem negativen Widerstand ergreife und listig umgarne. Ich kämpfe nicht mit einem Gott ohne Antlitz, sondern antworte auf seinen Ausdruck, seine Offenbarung.“
Totalität und Unendlichkeit (1961). Versuch über die Exteriorität. Übersetzt von Wolfgang Nikolaus Krewani; 4. Auflage; München 2008; Seite 282f. // Titel der Originalausgabe: Totalité et Infini. Essai sur l’Exteriorité, 1980; p. 171